Dank des Gottorfer Freundeskreises konnte dieser Akt des Hamburger Impressionisten Ernst Eitner für das Museum für Kunst und Kulturgeschichte auf einer Auktion erworben werden. Nachdem bereits 2019 ein Selbstbildnis des Malers aus dem Jahr 1917 angekauft werden konnte, erweitert sich der Gottorfer Eitner-Bestand hiermit auf insgesamt fünf Gemälde. Das nun erworbene Werk stammt direkt aus dem Nachlass des Malers und besitzt somit eine ausgezeichnete Provenienz.
Wir kennen Ernst Eitner heute insbesondere als Freilichtmaler koloristisch herausragender Ansichten des Hamburger Hafens, der Alster-Silhouette Hamburgs, aber auch der Landschaft in der Umgebung der Großstadt und seines eigenen idyllischen Gartens in Hamburg-Hummelsbüttel. Auch Eitners biedermeierlich geprägte Interieurs und feinsinnige Porträts, darunter zahlreiche Selbstbildnisse, faszinieren bis heute. Der in Hamburg in einfachen Verhältnissen geborene Eitner absolviert zunächst eine Ausbildung als Lithograf und besucht die Hamburger Gewerbeschule. Finanziert durch die Schwestern Molly und Helene Cramer und ein Stipendium kann er ab 1886 mit Unterbrechungen an den Kunstakademien von Karlsruhe, Düsseldorf und Antwerpen studieren. Mehrmals reist er nach Paris und begeistert sich für die aktuelle Kunst der Impressionisten. 1894 beginnt er an der „Hamburger Malschule für Damen“ junge Künstlerinnen, denen die Aufnahme an die Akademien aufgrund ihres Geschlechts versagt blieb, zu unterrichten. Schon früh gefördert vom Kunsthallendirektor Alfred Lichtwark, mehrt sich sein Erfolg mit der wegweisenden Gründung des „Hamburgischen Künstlerclubs“ 1897. In dieser für die Kunstentwicklung Hamburgs zur Jahrhundertwende so entscheidenden Malervereinigung wirkt er unter anderem neben Thomas Herbst, Arthur Illies, Alfred Mohrbutter oder Arthur Siebelist.
Der nun für die Sammlung erworbene Frauenakt entsteht in einer erfolgreichen Werkphase Eitners, die von Ankäufen, Studienreisen und reger Ausstellungstätigkeit geprägt ist. Bildfüllend stellt er ein nacktes Modell ins Zentrum der Leinwand. Es ist eine Frau, die wir unterschiedlich posierend und immer mit ihrer zeittypischen Hochsteckfrisur, in mehreren Gemälden dieser Werkphase entdecken können. Sie steht etwas in sich gekehrt, leicht linkisch oder schüchtern wirkend und mit einem nachdenklich-versonnenen Blick an die kahle Atelierwand gelehnt. Ihre Arme hat sie dabei hinter sich an die Wand gedrückt, als wüsste sie in dieser Situation des Modellstehens nichts mit ihnen anzufangen. Ein einfacher Holzboden ist zu erkennen, ansonsten finden sich keinerlei Hinweise auf die Raumsituation, keinerlei Requisiten. Der Blick des Malers konzentriert sich ganz auf die Anatomie seines Modells, ihre Körperhaltung, die Oberfläche ihrer Haut und den leicht melancholischen Gesichtsausdruck. Die Darstellung der Frau ist realistisch und, obwohl sie ohne Beschönigung auskommt, doch von großer Anmut geprägt.
Eitners Malweise demonstriert die Errungenschaften der Impressionisten – der leichte, flirrend wirkende Farbauftrag, der das Licht transportiert und subtil verschiedenste Farbnuancen auf der Haut der Unbekannten schimmern lässt. Kühle Blau- und Violett-Töne im Hintergrund ergeben einen reizvollen Kontrast zum warmen Inkarnat des Modells, auf dem sich wiederum die Farben der Umgebung in kleinen Reflexen finden. Die Atelierwand und der Holzboden lösen sich geradezu auf, sind reine Farbmalerei und lassen die Spuren des schnellen Pinsels besonders deutlich erkennen. In diesem Bild herrscht eine große Lebendigkeit, obwohl Regungslosigkeit, ein schönes In-sich-Ruhen dargestellt ist.
Ingo Borges